Texte

Wolfgang Vollmer

Yvonne Diefenbach –
Der äußerst erfolgreiche Weg der Fotografie in die Welt beruht auch auf der zunehmend besseren Beherrschung dessen, was man mit einer Kamera festhalten möchte. Anfangs ist der fotografische Akt ein vager Versuch mit vielen Proben, dann gepaart mit hohem Materialverschleiß. Heute ist durch die Hinzunahme der digitalen Möglichkeiten alles einfacher. Inzwischen besteht eine vollständige Kontrolle über Ausschnitt, Licht und Schärfe. Jetzt kann jede Aufnahme gelingen.
Yvonne Diefenbach verlässt dieses Terrain der vorgegebenen Wirklichkeit und wagt den Schritt in eine andere, eine unsichere Szenerie. Ihre Untersuchung des Fotografischen basiert auf klassischem, analogem Material. Besonders die dem Fotopapier innewohnenden bio-chemischen Vorgaben bilden das Arbeitsfeld. Der Bruch mit den erwartbaren Ergebnissen, die Negierung der festgelegten Schritte und die Umkehrung der festen Prozesse ist kein Affront, sondern eine Erweiterung der Ordnungen und Bestimmtheiten. Ihre Arbeit verbindet die Anfänge der Fotografie mit zeitgenössischen Fragestellungen nach der Darstellbarkeit der Realität. Die Kombination von analogen Labor und mechanischen Eingriff verwandelt dann Fotografie zum haptischen Objekt und öffnet so den Zugang zu neuer Wahrnehmung.
Der konzentrierte Akt ihrer allchemistischen, manuellen Einflussnahme ist eine Kollaboration mit dem Fotopapier, ist Zufall, Chance, Glück und Spiel. Die Ergebnisse ihrer Experimente zeigen eine rigorose Sprache, denn das Resultat ist ein Unikat, ein festgehaltener Moment der Beherrschung und der Befreiung.
Die Geschichte der Fotografie benennt viele herausragende Künstlerinnen und Künstler, die diese ästhetischen Möglichkeiten einer ‚kameralosen‘ Fotografie genutzt haben, mit eigenen Techniken und Vorgehensweisen, mit eigenen Fachbegriffen und Einordnungen. Und so scheint Fotografie aktuell die Rolle der exakten Transformation einer Wirklichkeit in eine Bildwelt nicht mehr erfüllen zu müssen. Doch der Wunsch nach hyperrealen Wirklichkeiten ist aktuell stärker geworden und wird mit digitaler Bildbearbeitung massiv und umfassend bedient.
Yvonne Diefenbach beantwortet diese Sehnsucht nach Gewissheit und Wahrheit mit souveräner Provokation und unorthodoxer Innovation, mit einer autonomen Bildwelt. Trotz oder gerade wegen des Einsatzes der klassischen Fotografie entsteht eine notwendige, originäre Vision. Ab jetzt kann jede Aufnahme gelingen.
Wolfgang Vollmer, 2022